Gebäudeautomation: Mit Big Data zum energiesparenden Gebäude (Teil 2)

28.06.18 09:00 von Esther Gensrich

Gebäudeautomation RecogizerEnergieeinsparungen von 20-30 Prozent ohne bauliche Veränderungen oder neue Anlagen: Um das zu erreichen, setzt die datenbasierte Lösung energyControl auf Big Data und künstliche Intelligenz. Lesen Sie mehr darüber, warum sich das Sammeln von Daten lohnt, welche Datenpunkte wichtig sind – und was kommerzielle Gebäudebetreiber von vorausschauenden Autofahrern lernen können: im zweiten Teil unseres Interviews mit Oliver Habisch und Carsten Kreutze, Geschäftsführer des MVV-Partnerunternehmens Recogizer.

Warum vergleichen Sie den Gebäudebetrieb mit vorausschauendem Autofahren?

Oliver Habisch (lacht): Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Auto unterwegs. Da achten Sie auf die Verkehrsdurchsagen im Radio und auf die Hinweise Ihres Navis. Und Sie schauen nach vorne. Wenn Sie da eine rote Ampel oder ein Stauende sehen, werden Sie kaum nochmal Vollgas geben und dann mit einer Vollbremsung zum Stehen kommen. Oder sogar mitten auf der Kreuzung zum Stehen kommen und dann den Rückwärtsgang einlegen. Genau das passiert aber häufig in Gebäuden.

… das müssen Sie näher erklären ...

Oliver Habisch: Nehmen wir an, Sie wünschen sich im Gebäude eine Raumtemperatur von 21 Grad. Doch morgens ist es noch relativ kühl. Also wird die Anlage auf Vollleistung gebracht. Sind die 21 Grad erreicht, passierte es leicht, dass Sie über das Ziel hinausschießen – also mit Vollgas auf die Kreuzung brettern. Diese „Übersteuerung“ liegt an der thermischen Trägheit. Steigt die Temperatur dann über die Zieltemperatur hinaus, werden automatisch die Kühlanlagen aktiviert. Sie legen dann praktisch den Rückwärtsgang ein. Vorausschauendes Fahren geht natürlich anders.

In der Übergangszeit verstärkt sich das oft noch durch die Außentemperaturen, die im Tagesverlauf ansteigen. Hinzu kommt die Belegungssituation, die man in der Regelung berücksichtigen müsste – Stichwort „Freitag ist Homeoffice-Tag“. Das passiert heute meist nicht. Darum ist es so wichtig, dass wir die Modelle mit externen Prognosen füttern, etwa zur Belegungssituation des Gebäudes oder dem Wetter.

energyControl ist also ein „vorausschauender Gebäudefahrer“?

Carsten Kreutze: So könnte man es ausdrücken. Der Unterschied zu konventionellen Vorgehensweisen ist, dass energyControl prognosegeführt ist. Es sagt den tatsächlichen Bedarf unter Berücksichtigung der verschiedenen Einflussgrößen voraus: also etwa den Trägheitsfaktoren, steigenden Außentemperaturen im Tagesverlauf und der Belegungssituation im Gebäude.

Praktisch erlaubt das, den Fuß „früher vom Gas zu nehmen“. Eine Temperatur von 20 Grad ist erreicht und die Prognose sagt, dass die Außentemperaturen steigen? Oder das Gebäude bald stärker belegt sein wird? Dann kann die Heizleistung eine halbe Stunde früher reduziert und damit entsprechend Energie gespart werden. Das trägt übrigens auch zum Raumklima und damit zum Wohlbefinden der Kunden und Mitarbeiter bei. 

 

Wie verbessert sich dadurch das Raumklima?

Oliver Habisch: energyControl zielt in erster Linie auf Energieeinsparung – allerdings bei mindestens gleichbleibender Behaglichkeit. Durch den vorausschauenden Aspekt können wir das Raumklima sehr genau in der gewünschten Bandbreite halten. Das ist angenehm, und es ist im Interesse der Gebäudebetreiber: in Büros genauso wie etwa in Möbelhäusern oder Textilgeschäften.

Wie funktioniert diese „vorausschauende Fahrweise“?

Oliver Habisch: Unsere Lösung ist im Prinzip ein virtueller Anlagenoptimierer, der aus der strukturieren Datenaufzeichnung sehr genau das Anlagen-, Gebäude- und Nutzungsverhalten erlernen kann. Das ermöglicht eine vorausschauende Regelung, so dass wir vollkommen automatisiert Energie einsparen können. Wir bedienen uns dafür bei allen Messdaten der Liegenschaft, die zum Beispiel von Sensoren, Reglern, Verbrauchszählern und Aktoren erhoben werden.

Carsten Kreutze: Mit dieser Datenbasis wird automatisiert auf jedes Gebäude zugeschnitten ein vorausschauender Regel-Algorithmus entwickelt. Das ist ein selbstlernendes System, mit dem Energie gespart wird. Unser Ziel ist es, möglichst nah an das Optimum zu kommen: Das Gebäude verbraucht wirklich nur die benötigte Energie. Da kommt dann auch unser „digitaler Zwilling“ ins Spiel.

Was hat es mit diesem digitalen Zwilling auf sich?

Oliver Habisch: Die Daten, die wir über die Zeit sammeln, nutzen wir für ein virtuelles Abbild des Gebäudes und der Anlage. Diesen digitalen Zwilling füttern wir dann mit Prognosedaten, etwa zu Belegungssituation und Witterungsbedingungen. So können wir die Reaktionen des „Verhaltensklons“ überwachen. energyControl prognostiziert damit den jeweiligen thermischen Energiebedarf und kann daraus Aktionen für die aktuelle Regelstrategie ableiten.

Big Data ist also die entscheidende Triebfeder?

Carsten Kreutze: Je mehr Daten vorhanden sind, umso besser werden die Voraussagen, und umso mehr Einsparungen lassen sich erreichen. Dabei kommt uns ein Trend in der Gebäudeautomation zugute: Ältere Gebäude werden zunehmend mit Sensorik nachgerüstet – seien es CO2-Sensoren, Feuchtigkeitssensoren, Temperaturfühler oder auch Anwesenheitssensoren.

Die gesammelten Daten sind die Grundlage für die intelligenten Modelle. Mit energyControl werden die Betriebs- und Verbrauchsdaten langfristig gespeichert und visualisiert. Das System lernt damit dauerhaft, wie das Gebäude optimal ausgesteuert werden kann.

Oliver Habisch: Das ist auch der Unterschied zu konventionellen Heizungs- und Klimareglern: Die Perspektive nach vorne ist integriert, wir nehmen Prognosen mit hinein. Wie wird sich der Energiebedarf in den nächsten Stunden oder Tagen entwickeln? Damit wird die Regelstrategie für das Gebäude automatisiert abgeleitet, ohne manuellen Aufwand für den Kunden.

Thema Daten: Wie sehen Sie das Thema Datenschutz?

Oliver Habisch: Wir füttern energyControl nicht mit personenbezogenen Daten, sondern mit Gebäude- und Betriebsdaten. Darum gibt es seitens der Gebäudebetreiber auch keine Bedenken, wenn wir die Informationen gut gesichert ausschließlich für unser Tool nutzen.

Wie aufwendig ist das für die Kunden, die Gebäudebetreiber?

Carsten Kreutze: Denkbar unaufwändig – die Idee hinter energyControl ist ja die selbstlernende Optimierung. Im Gebäude muss kein Kundenmitarbeiter aktiv werden. Technisches Know-how vor Ort ist für den Betrieb nicht notwendig,

Doch natürlich kann der Kunde auch selbst aktiv werden, wenn er es möchte. Er bekommt einen Zugang zum browserbasierten energyControl-Portal. Dort sieht er übersichtlich, was die Anlage verbraucht hat. Er sieht auch, welche Einsparung bei Energie und CO2 erreicht worden sind. Darüber hinaus kann man sich Alarme einstellen – etwa wenn bestimmte Verbrauchsschwellen überschritten werden – oder selbst Trendanalysen durchführen.

Zum Abschluss noch ein Blick auf das „große Ganze“: Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Oliver Habisch: Wir sehen energyControl als einen Beitrag zum Gelingen der Energiewende. Es geht darum, den Energieverbrauch zu senken, zur Wirtschaftlichkeit und zum Klimaschutz beizutragen. Darum möchten wir möglichst viele gewerbliche Immobilien mit dem System ausstatten können. Auch darum ist die Partnerschaft mit MVV so wichtig für uns. 

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Esther Gensrich

Autor: Esther Gensrich

Esther Gensrich ist seit 2003 für die MVV Energie Gruppe tätig. Dort verantwortet sie aktuell im Business Development das strategische Marketing für Geschäftskunden. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von zukunftsorientierten und digitalen Marketingkonzepten.

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