Energiemarkt Teil 1: das Auf und Ab im deutschen Strom- und Gasmarkt

26.01.23 08:12 von Christoph Elsässer

GettyImages-1311751510_1240x840pxMit der MVV Trading haben wir gebündelte Handelskompetenz an Bord. Denn sie ist auf die Beschaffung und den Handel von Energie spezialisiert. Das bringt uns ein tiefes und breites Wissen sowie fundierte Einsichten in den Markt. Genau das möchten wir mit Ihnen teilen – im Rahmen unserer Themenreihe Energiemarkt. Unser Autor Dr. Christoph Elsässer hat sich für den ersten Teil mit den Markttreibern der aktuellen Energiepreisentwicklung beschäftigt.

Das Jahr 2022 – geprägt von der Energiekrise

Das vergangene Jahr wird bzgl. des Themas Energie wohl nicht nur Marktspezialisten in Erinnerung bleiben. Denn die Entwicklungen beim Handel und bei der Beschaffung von Energie sind zum Thema im öffentlichen Diskurs geworden. Die Börsenpreise von Strom und Gas wurden in den Nachrichten bekannt gegeben. Trotz der ausführlichen Berichterstattung fällt es vielen Außenstehenden aber schwer, den Überblick über den Markt und dessen Aufs und Abs zu behalten.  

Die Preisrallye seit dem Herbst 2020 – eine Rallye, viele Treiber

Viele Energiemarktthemen sind mit der „Energiekrise“ erst so richtig in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Der eigentliche Beginn des außergewöhnlichen Preisanstiegs auf den Märkten liegt allerdings schon weiter zurück: 

  • Im Herbst 2020 waren die Tiefstpreise für Energie* nach der Coronakrise überwunden.
  • Die Energiemärkte setzten zu einer lang anhaltenden Preisrallye an.
  • Dieser Preisentwicklung lagen 2021 und 2022 unterschiedliche Treiber zugrunde.
  • In den Preisspitzen im Sommer 2022 stiegen die Großhandelspreise* im Strom- und Gasmarkt um über einen Faktor 20 (verglichen mit Oktober 2020).

Das Hauptthema der öffentlichen Berichterstattung war vergangenes Jahr die Entwicklung der Strom- und Gaspreise im Großhandel. Denn diese lassen einen vergleichsweisen direkten Bezug zur Stromrechnung zu. Obwohl dabei noch andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Der oft als „Energiekomplex“ bezeichnete Energiegroßhandel umfasst allerdings weitere Produkte: Dazu gehören Kohle oder Zertifikate für die Emissionsberechtigung von Kohlendioxid. Die Preise verschiedener Großhandelsprodukte im Energiemarkt hängen zusammen oder beeinflussen sich wechselseitig.

So haben sich die Preise für Strom und Gas an den Börsen entwickelt. Die beiden Skalen auf der Y-Achse für Strom und Gas verdeutlichen den Zusammenhang zwischen dem Strom- und dem Gaspreis.

Quelle: EEX

Der Energiemarkt ist ein komplexes System

Nehmen wir hier als Beispiel den Zusammenhang zwischen Strom- und Gaspreis. Dieser wurde in den letzten Monaten verstärkt in den Medien diskutiert. Gaskraftwerke beziehen zur Stromerzeugung Gas und müssen daher den Gaspreis bezahlen, wodurch sich ein mathematischer Zusammenhang ergibt. Allerdings wird der Strom in Deutschland nur zu einem gewissen Anteil durch Gaskraftwerke gedeckt. Trotzdem kann der Gaspreis unter bestimmten Umständen der entscheidende Treiber des Strompreises sein. 

  • An der Strombörse wird der Strompreis des Folgetags durch das sogenannte Merit-Order-Prinzip ermittelt.
  • Das Merit-Order-Prinzip besagt (vereinfacht), dass Kraftwerke in der Angebotskurve mit steigenden Grenzkosten angeordnet werden. Grenzkosten sind die variablen Einsatzkosten in Euro/MWh.
  • So entsteht beim Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurven der aktuelle Preis, Markträumungspreis oder auch „Market Clearing Price“ genannt, der für alle Arten von Stromerzeugung gilt.
  • Der Preis von Stromerzeugung, die unter dem „Market Clearing Price“ liegt, ist für den Strompreis unerheblich.
  • Aufgrund der vergleichsweise teuren und dennoch erforderlichen Gasverstromung waren Gaskraftwerke im letzten Jahr oft preissetzend.

Schließlich ist die Merit-Order-Reihenfolge in der Strompreisbildung aber nicht fest fixiert, sondern sie hängt vom Verhältnis verschiedener Brennstoffkosten und auch den Preisen für Emissionszertifikate ab. Veränderungen wirken sich wiederum auf die Nachfrage bei Kohle und Gas – und in Folge auf die Preise aus.

Starker Anstieg der Gas- und Strompreise – Überblick über wichtige Treiber

Erstes Halbjahr 2021: steigende Nachfrage und Klimaziele

Nach den coronabedingten Lockdowns zog im Verlauf des Jahres 2021 mit dem wirtschaftlichen Aufschwung die Nachfrage nach Energie und Strom an. Das wirkte sich direkt auf die Strompreise aus: Der Strompreis für eine Lieferung im Folgejahr konnte sich vom Herbst 2020 in den Sommer 2021 bereits verdoppeln. Hierbei war aber auch ein weiterer Treiber wichtig: Im Rahmen ambitionierterer EU-Klimaziele sahen die Energiemärkte eine deutliche Verteuerung der Emissionszertifikate auf Kohlendioxid. Dadurch verteuerte sich die Stromerzeugung aus thermischen Kraftwerken, die für Emissionsrechte bezahlen müssen.

Zweites Halbjahr 2021: der Gasmarkt und die Furcht vor einem kalten Winter

Während des Sommers 2021 rückte der Gasmarkt verstärkt in den Blick. Denn teure Preisvorgaben aus Asien und geringe Gasspeicherfüllstände befeuerten die Sorgen vor einer knappen Gasversorgungssituation während des Winters 2021/2022. Verstärkt wurde das durch die Tatsache, dass höhere Einkaufspreise nicht zu einem erhöhten Gasimport führten. Vielmehr nahmen die russischen Gaslieferungen schon im Herbst 2021 weiter ab, während der Bedarf nach Brennstoffen bedingt durch vergleichsweise niedrige Erzeugung aus erneuerbaren Energien zunahm. Die Furcht vor einem Leerlaufen der Gasspeicher stellte sich 2021/2022 schließlich als unbegründet heraus. Dies lag auch daran, dass der Winter sehr mild verlief. Der Februar 2022 brachte außerdem neue Rekorde in der deutschen Windstromerzeugung. 

2022: Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Situation an den Energiemärkten weiter entspannt hätte, wenn nicht Ende Februar 2022 der Krieg in der Ukraine begonnen hätte. Die militärische Eskalation und westliche Reaktionen wie die Anordnung oder Androhung eines Energieimportembargos wirkten sich spürbar auf die Energiepreise aus. Obwohl russische Gaslieferungen zunächst weiterliefen (und kurzfristig sogar noch anstiegen) sorgte die Angst vor einer Lieferunterbrechung auf den Gas- und Kohlemärkten für neue Preisanstiege.

Als die russischen Gaslieferungen schließlich tatsächlich dramatisch einbrachen, sahen die Energiemärkte eine nie dagewesene Entwicklung. Diese führte zu extrem hohen Preisen. Allerdings wäre dieser Anstieg nicht ohne weitere Einflussfaktoren möglich gewesen: Auch die historisch niedrige Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerksflotte und der sehr warme und trockene Sommer 2022 trugen zur Preiseskalation bei.

Rückrechnungen mit historischen Wetterdaten und der aktuell installierten Windleistung zeigen: Der August 2022 zählt zu den windleistungsärmsten Augustmonaten der letzten Jahrzehnte.

Gleichzeitig führte die starke Trockenheit nicht nur zu verminderter Stromerzeugung aus Wasserkraft (v. a. im europäischen Ausland), sondern auch zu Problemen in der Brennstofflogistik deutscher Kraftwerke. Denn diese ist neben dem Bahntransport zu einem großen Teil auf Binnenschifffahrt angewiesen. 

Herbst 2022: Befüllung der Gasspeicher und Lastenreduktion 

Nach den Preisspitzen im August und September sahen die Strom- und Gasmärkte einen deutlichen Preiseinbruch, der – mit kurzer Unterbrechung im Dezember – noch immer anhält. Der extreme Preisanstieg im Sommer brachte weitreichende politische Debatten über Märkte und deren Funktionieren mit sich.

Zunehmende Diskussionen rund um mögliche politische Markteingriffe trugen im Herbst zum Preisabfall bei. Die Hauptgründe für die rückläufigen Preise waren aber die Erfolge bei der Füllung der Gasspeicher in Verbindung mit der deutlichen Reduktion der Gasnachfrage.

Einerseits sahen die Märkte einen der wärmsten Oktobermonate seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Andererseits kam es aber auch zu einer Nachfragereduktion aufgrund der hohen Preise, da Energieeinsparungen attraktiver wurden.

Bis heute ist diese Lastreduktion ein entscheidender Faktor für den vergleichsweise geringen Gasbedarf. Sie wird neben Wetterbedingungen im ersten Quartal 2023 die Richtung der Preise weiter beeinflussen.

Wie entwickeln sich die Energiemärkte im Jahr 2023? 

Generell gehen wir von weiterer Entspannung der Märkte aus. Diese setzt allerdings voraus, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Um Sie hier über das Jahr auf dem Laufenden zu halten, haben wir diese Blogreihe ins Leben gerufen. Wir werden dabei unterschiedliche Energiemarktthemen aufgreifen und mit anschaulichen Beispielen Zusammenhänge und Preistreiber erläutern. Seien Sie gespannt! 

 

* Terminmarkt Strom und Gas jeweils mit Lieferung Folgejahr

 

Themen: Energiebeschaffung Strom / Gas

Christoph Elsässer

Autor: Christoph Elsässer

Christoph Elsässer war als Prognoseanalyst und später als Analyst Energy Trading bei der EnBW tätig. Hierbei begleitete er unter anderem alle wetterabhängigen Handelsaktivitäten, entwickelte innovative Vorhersagetools und Marktanalysen. Seit 2020 arbeitet er nun als Marktanalyst Frontoffice bei der MVV Trading GmbH. Zu seinen Aufgaben gehört die Marktanalyse aller relevanten commodity Märkte und die Weiterentwicklung von Strompreismodellen. Sein Studium in Mathematik und Physik sowie die Promotion hat er in Heidelberg abgeschlossen.

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