Sinkende Gaspreise seit Anfang September
Die Sorgen rund um die Gasversorgung waren 2022 vor allem nach dem Einbruch der russischen Gaslieferungen groß gewesen. Immerhin hatte Gas aus Russland gut die Hälfte der deutschen Gasimporte ausgemacht. Seit März 2022 hatte sich in den Folgemonaten der Gaspreis vervielfacht und immer neue Rekorde erreicht. Eine kalte Wetterentwicklung im Herbst oder Winter hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu noch höheren Preisen geführt. Dieser Fall ist nicht eingetreten. Im Gegenteil: Die Großhandelspreise für Gas hatten Ende August mit einem Preislevel von über 300 Euro je Megawattstunde einen Höchststand erreicht. Seit Anfang September 2022 sinken die Preise mehr oder weniger kontinuierlich und lagen im Fall des Spotmarktes im ersten Quartal 2023 sogar unter dem Niveau von Anfang 2022.
Für diese Preisentwicklung waren mehrere Faktoren verantwortlich. Neben gut gefüllten Gasspeichern, Einsparungen in Industrie, Gewerbebetrieben und Haushalten sowie milden Wintertemperaturen sorgten die LNG-Importe für Entspannung auf den Gasmärkten.
Gasspeicher wurden schneller befüllt
Noch im Herbst letzten Jahres war der Füllstand der deutschen Gasspeicher ein tägliches Thema in den Nachrichten. Jeder Prozentpunkt mehr war eine Meldung wert. In Verbindung mit preisbedingter Verbrauchsreduzierung machte die Speicherbefüllung allerdings gute Fortschritte: Die gesetzliche Vorgabe für den Füllstand zum Stichtag 1. Oktober (85 Prozent) wurde bereits Anfang September erfüllt. Am 13. November 2022 zeigten offizielle Daten der Gasinfrastrukturbetreiber schließlich einen Speicherstand von 100 Prozent. Mit dem rekordmilden Oktober und dem späten Start in die Heizperiode mussten die Füllstandsprognosen im Anschluss immer wieder nach oben korrigiert werden.
Anfang März 2023 waren die Speicher noch zu 69 Prozent gefüllt, höher als im Mittel über die europäischen Länder. Im langjährigen Vergleich steht Deutschland damit recht gut da und weist höhere Füllstände auf als im Vergleichszeitraum fast aller Vorjahre – lediglich im Jahr 2020 lag der Füllstand zum aktuellen Zeitpunkt noch höher. Für die Gasspeicher gilt jedoch der bekannte Spruch: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Ihre Befüllung wird aufgrund verbleibender Unsicherheiten in der Gasversorgung auch in diesem Jahr eine Herausforderung bleiben.
Viel Gas gespart
Waren die Marktturbulenzen und die Nervosität im Jahr 2022 also nur einer Panikmache geschuldet? Nein. Neben Sorgen vor einem kalten Winter war auch unklar, ob weiter erfolgreich durch die Industrie, Gewerbebetriebe und die privaten Haushalte Gas eingespart wird. Auch hier wurden laut Bundesnetzagentur positive Resultate erzielt.
- Der Gasverbrauch in Deutschland lag im letzten Jahr 14 Prozent unter dem Durchschnitt der vergangenen vier Jahre.
- In der Industrie betrugen die Einsparungen 15 Prozent. Bei den privaten Haushalten und Gewerbebetrieben waren es 12 Prozent.
- Besonders groß waren die Einsparungen im vierten Quartal 2022. Hier lagen sie gegenüber den Vorjahren bei 23 Prozent beziehungsweise 21 Prozent.
Warmer Winter senkt Verbrauch
Die aktuell weniger angespannte Situation lässt sich aber nicht allein durch die Einsparmaßnahmen begründen. Als wichtiger verbrauchsmindernder Faktor hat sich die sehr milde Heizperiode 2022/2023 entwickelt. Dabei ist es entscheidend, dass im Fall normaler Wintertemperaturen etwas mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Gasverbrauchs auf den Wärmesektor entfällt. Und wenn weniger geheizt wird, wird weniger Gas verbraucht.
Deutschland hat 2022/2023 den zwölften zu warmen Winter in Folge erlebt – mit
Temperaturen von teilweise über +20 Grad Celsius zum Jahreswechsel. Nur der Winter 2006/2007 war noch deutlich wärmer. Die Wintertemperaturen lagen laut dem Deutschen Wetterdienst 2,7 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel. Mit dem Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit für milde Winter, trotzdem können längerfristige Kälteperioden auch in Zukunft vorkommen.
Aussicht auf LNG-Importe sorgt für Entspannung
Einen beruhigenden Effekt auf die Gasmärkte hatten im letzten Herbst schließlich auch Lieferungen von regasifiziertem Flüssiggas (LNG, Liquefied Natural Gas) und die nahe Inbetriebnahme der ersten LNG-Terminals an den deutschen Küsten.
Bereits im Winter und Frühjahr des Jahres 2022 waren die Lieferungen von LNG in die EU stark angestiegen und hatten immer wieder neue Monatsrekorde erzielt. Im Dezember betrugen diese LNG-Importe dann erstmals über 12 Milliarden Kubikmeter Gas – ein Anstieg von rund 60 Prozent zum Dezember des Vorjahres. Anders als im Herbst 2021 lagen die Preisvorgaben aus Asien auch während des negativen Gaspreistrends unter den europäischen Gaspreisen. Davon konnten die europäischen LNG-Importe profitieren, während gleichzeitig die asiatischen Importe im betrachteten Zeitraum zum Vorjahr zurückgingen.
Mit dem Anstieg der LNG-Importe konnte europaweit ein Großteil der ausbleibenden russischen Gaslieferungen kompensiert werden. In den letzten Wochen des Jahres 2022 betrug der Anteil von LNG an den Gesamtimporten von Gas in der EU circa 40 Prozent. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur circa 23 Prozent gewesen. Bislang bezieht die EU LNG zum größten Teil aus den USA. Deutschland profitiert von diesen Lieferungen in erster Linie über Terminals in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Großbritannien. Um weitere Lieferungen zu sichern, hat die Bundesregierung Ende November 2022 eine Energiepartnerschaft mit Katar abgeschlossen. Der Golfstaat, neben den USA einer der größten LNG-Exporteure, wird ab 2026 jährlich zwei Millionen Tonnen Flüssiggas per Schiff nach Deutschland liefern.
Rascher Ausbau der LNG-Kapazitäten in Deutschland
Für die kommenden Jahre ruhen viele Hoffnungen auf LNG. Auf den Wegfall des russischen Gases hat die deutsche Regierung schnell reagiert und veranlasst, dass im Rekordtempo drei schwimmende LNG-Terminals an der Nord- und Ostseeküste installiert wurden:
- Mitte Januar 2023 ist das erste deutsche Terminal in Wilhelmshaven in den Regelbetrieb gegangen.
- Ihm folgte inzwischen ein zweites Terminal in Lubmin.
- Das LNG-Terminal in Brunsbüttel soll im März in den Regelbetrieb starten.
Die schwimmenden LNG-Terminals haben eine Kapazität von bis zu zehn Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr. Im kommenden Winter soll bereits bis zu einem Drittel des bisherigen jährlichen deutschen Gasbedarfs von etwa 90 Millionen Kubikmetern über die drei Terminals abgedeckt werden.
Doch das ist erst der Anfang. Um für Energiesicherheit zu sorgen, plant die Bundesregierung den Bau von fünf weiteren schwimmenden Terminals. Langfristig sollen außerdem drei feste, landbasierte Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade gebaut werden.
Wie viele LNG-Terminals werden gebraucht?
Reichen die bestehenden LNG-Anlagen vor dem Hintergrund der „entspannteren“ Situation aus, oder braucht es noch mehr? Hier gehen die Meinungen auseinander.
Kritiker meinen, dass deutlich weniger als die acht schwimmenden und drei festen LNG-Anlagen ausreichen würden, um den zukünftigen deutschen Gasbedarf zu decken. Die Pläne der Bundesregierung würden nur teure Überkapazitäten schaffen. Statt auf eigene LNG-Terminals zu setzen, könnte Deutschland stärker die Terminals von Nachbarländern nutzen, die nicht vollständig ausgelastet sind.
Die Befürworter halten dagegen, dass die geplanten Terminals gebraucht werden, um Deutschland weiter unabhängig von Gas aus Russland zu machen. Mit Blick auf die nähere Zukunft sei es richtig, sich auf einen extrem kalten Winter vorzubereiten und Redundanzen für den Fall eines Pipeline- oder Terminalausfalls einzuplanen. Hinzu komme, dass Deutschland auch eine Transitfunktion für Gas für Nachbarländer habe.
Wie wird sich der Gaspreis weiterentwickeln? Auch wenn die Bundesnetzagentur die Gasversorgung derzeit in Deutschland als stabil bezeichnet, sieht sie die Vorbereitung auf den Winter 2023/2024 als eine zentrale Herausforderung.
Autor: Christoph Elsässer
Christoph Elsässer war als Prognoseanalyst und später als Analyst Energy Trading bei der EnBW tätig. Hierbei begleitete er unter anderem alle wetterabhängigen Handelsaktivitäten, entwickelte innovative Vorhersagetools und Marktanalysen. Seit 2020 arbeitet er nun als Marktanalyst Frontoffice bei der MVV Trading GmbH. Zu seinen Aufgaben gehört die Marktanalyse aller relevanten commodity Märkte und die Weiterentwicklung von Strompreismodellen. Sein Studium in Mathematik und Physik sowie die Promotion hat er in Heidelberg abgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
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