So beeinflusst das Wetter den deutschen Strommarkt
In den Handelsräumen der Energieunternehmen sind neben verschiedensten Datengrafiken und Prognosen auch Wetterkarten auf den Bildschirmen zu sehen. Da Strom- und Gasverbrauch temperaturabhängig sind, ist die Nachfrage nach Energie im Winter seit jeher stark durch die Witterung geprägt. Mit dem signifikanten Ausbau erneuerbarer Stromproduktion nahm die Wetterabhängigkeit in den vergangenen Jahren weiter zu.
Ein Beispiel: Im Jahr 2019 lag die Windleistung im Jahresmittel des deutschen Stromerzeugungsmix erstmals auf Platz eins vor Braunkohle, 2020 überstieg Windstrom auf Jahressicht zum ersten Mal sogar die Verstromung von Braun- plus Steinkohle.
Allerdings unterliegt Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien naturgemäß größeren Schwankungen. Im Februar des Jahres 2022 produzierten die deutschen Windturbinen zum Beispiel auf Monatssicht circa 21 Terawattstunden (TWh) Strom, im August lediglich 4–5 TWh. Zur Einordung: Dieser Unterschied entspricht in etwa der mittleren Leistung von 16 - 18 der zuletzt in Deutschland abgeschalteten Atomreaktorblöcke.
Wind als Einflussfaktor am Strommarkt
Im Sommer erwartet der Strommarkt generell eine, statistisch gesehen, niedrigere Windstromerzeugung im Vergleich zum Herbst und Winter. Aber auch unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Norm-Annahmen war der August 2022 sehr windarm.
Rückrechnungen mit historischen Wetterdaten und der im Jahr 2022 installierten Windleistung belegen, dass der August 2022 im Deutschlandmittel zu den windärmsten Monaten der letzten Jahrzehnte zählte. Neben normalen, täglichen Schwankungen kommt hier vor allem dem Konzept der „Großwetterlage“ eine entscheidende Bedeutung zu. Trotz täglicher Variationen können stabile und geografisch großräumige Wetterlagen für länger anhaltende Windflauten, Starkwindwochen, Trocken- oder Hitzeperioden sorgen.
Die außergewöhnlich hohen Strompreise im vergangenen Sommer waren zwar primär auf einen signifikanten Anstieg der Brennstoffpreise, insbesondere beim Gas, zurückzuführen. Ohne den „Rekordsommer“ hinsichtlich einiger Wetterparameter wären die extremen Preisspitzen am deutschen Stromspotmarkt (bis 699 Euro pro Megawattstunde im Tagesmittel) allerdings nicht möglich gewesen.
Wasser und der europäische Energiehandel
Neben der Stromnachfrage einerseits sowie der Wind- und Solarleistung andererseits ist insbesondere im Sommerhalbjahr Wasser ein weiterer wichtiger Einflussfaktor am Strommarkt. Mit rund 5.000–6.000 Megawatt (MW) installierter Kraftwerkskapazität hat Wasserkraft in Deutschland augenscheinlich nur einen kleinen Part im Strommarkt. Das deutsche Stromsystem ist allerdings keine Insel, sondern ein gut vernetzter Teil des europäischen Stromverbundnetzes.
In Österreich und der Schweiz macht Wasserkraft am Strommarkt im Jahresmittel regelmäßig über 60 Prozent aus, in Frankreich immerhin bis 12 Prozent – der Anteil liegt jeweils im zweiten Kalenderquartal etwas höher. Gleichzeitig kommt diesen Ländern, vor allem Frankreich, beim Strom eine bedeutende Rolle im Import aus und Export nach Deutschland zu. In den Sommermonaten 2022 lag die Wasserverstromung in den Alpenländern zum Teil deutlich unter den Vergleichswerten der Vorjahre.
Neben der direkten Stromproduktion aus Wasserkraft spielt für Frankreich und Deutschland auch die Wassersituation an den größeren Flüssen eine entscheidende Rolle. In Deutschland findet ein Großteil der Brennstofflogistik für Kraftwerke über Flussschifffahrt statt. Bei niedrigem Wasser- bzw. Pegelstand kann das einen deutlichen Anstieg der Logistikkosten zur Folge haben, da Schiffe nicht mehr voll beladen werden können. Speziell bei Kohle ist auch ein kompletter Stopp der Lieferungen zu relevanten Kraftwerken möglich. Besonders die Rheinschifffahrt war im August 2022 von der Herausforderung neuer saisonaler Niedrigwasserrekorde betroffen. Vor dem Hintergrund der damals vergleichsweise hohen Kohlenachfrage war das eine interessante Entwicklung.
Zusätzlich zu den Pegelständen sind in Frankreich auch Flusstemperaturen zur Kühlung der Atomkraftwerke ein wichtiger Einflussfaktor. Meldungen beziehungsweise Warnungen, die Stromproduktion an relevanten Anlagen zu reduzieren, sind fester Bestandteil fast jeden Sommers. Auch die mit der Trockenheit verbundene Wasserknappheit trug im Sommer 2022 zur Preiseskalation bei.
Wie sieht die aktuelle Energie-Situation im Sommer 2023 aus?
Etwas heterogener ist die Energiemarkt-Situation im aktuellen Sommer 2023. Im Mai stieg die Wasserverstromung in Österreich auf einen vergleichsweise hohen Wert. Das führte dazu, dass Deutschland erstmals in einem Monatsmittel mehr Strom aus Österreich importierte, als nach Österreich exportierte.
Während es auf der Alpen-Südseite teils extreme Niederschläge gab, war der Juni nördlich der Alpen zunächst sehr trocken. Eine deutliche Wetterumstellung im letzten Juli-Drittel sorgte aber auch dort bezüglich der Wassersituation vorläufig für Entspannung. Eine extreme Entwicklung der Flusswasserpegel blieb im August zunächst aus.
Der Wetterfokus lag verstärkt auf einem anderen Effekt: Der Juni 2023 brach hinsichtlich der Solarstromerzeugung alle Rekorde. Das lag zum einen am starken Ausbau der Solarenergieerzeugung. Zum anderen zählte der Monat zu einem der beiden sonnenreichsten Junimonate seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Eine der Auswirkungen: Da der erzeugte Wind- plus Solarstrom die deutsche Stromnachfrage teils deutlich übertraf, waren die Stunden der Solarspitzen an Sonntagen zwischenzeitlich von negativen Strompreisen geprägt. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war der 2. Juli, als in einer außergewöhnlichen Markt- und Wettersituation in der Dayahead-Auktion des deutschen Strommarkts negative Stundenpreise bis -500 Euro/ MWh erzielt wurden.
Fazit: eine Frage des Wetters
Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Die Energiemarkt-Situation im Sommer 2023 ist nicht mit der aus dem Vorjahr zu vergleichen, denn die aktuell hohen Gasspeicherstände und vergleichsweise hohen Lieferungen von Liquefied Natural Gas (LNG) tragen zusätzlich zur Versorgungssicherheit und damit zur Entspannung bei.
Nichtsdestotrotz unterstützt auch das momentane Wettersetup die aktuell entspanntere Marktlage. Wird sich dieser Trend in den Winter fortsetzen? Eines scheint sicher: Das Wetter wird im Energiemarkt weiter eine entscheidende Rolle spielen.
Autor: Christoph Elsässer
Christoph Elsässer war als Prognoseanalyst und später als Analyst Energy Trading bei der EnBW tätig. Hierbei begleitete er unter anderem alle wetterabhängigen Handelsaktivitäten, entwickelte innovative Vorhersagetools und Marktanalysen. Seit 2020 arbeitet er nun als Marktanalyst Frontoffice bei der MVV Trading GmbH. Zu seinen Aufgaben gehört die Marktanalyse aller relevanten commodity Märkte und die Weiterentwicklung von Strompreismodellen. Sein Studium in Mathematik und Physik sowie die Promotion hat er in Heidelberg abgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
- Wärmeversorgung (13)
- Energiemanagement (12)
- Steuern und Abgaben (12)
- Dekarbonisierung (9)
- E-Mobility (9)
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