Leitfaden zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung

12.09.19 10:59 von Esther Gensrich

Gefährdungsbeurteilung psychische BelastungStress und psychische Belastungen bei der Arbeit sind mittlerweile der häufigste Grund für krankheitsbedingte Fehltage und Frühverrentungen. Die Folge: Seit Anfang 2014 ist jeder Betrieb dazu verpflichtet, die Arbeitsbelastungen in einem ganzheitlichen Ansatz zu ermitteln. Dies geschieht im Rahmen der sogenannten Gefährdungsbeurteilung. Dazu gehört neben den physischen Gefahren auch die psychische Belastung bei der Arbeit. Ob das sinnvoll und angemessen ist? Aber sicher. Nur das “Wie” und “Wer” bei der Umsetzung der Beurteilung sorgt für Unsicherheit.

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung?

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Arbeitgeber, erforderliche Maßnahmen zum Arbeitsschutz zu ermitteln. Dies geschieht auf der Grundlage einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Bei dieser Gefährdungsbeurteilung sind auch psychische Belastungen der Arbeit zu berücksichtigen. Im Gesetz heißt es dazu:

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen

(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.

(2) Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend.

(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

  1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes,
  2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,
  3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit,
  4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,
  5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten,
  6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Die psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.

Sie lässt sich nicht mit Geräten messen. So werden Beobachtungsinterviews, Fragebögen oder Workshops eingesetzt, und Beschäftigte werden während ihrer Arbeitszeit beobachtet und interviewt.

Was genau wird beurteilt?

Investitionen in Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sind sehr sinnvoll. Zum einen verbessern Sie den beruflichen Alltag der Beschäftigten, zum anderen stärken sie die Leistung und Produktivität der Unternehmen.

Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bzw. Psychische Gefährdungsbeurteilung (PGB) dient der Prävention; es werden die Arbeitsbedingungen betrachtet.

Es geht darum, Belastungsfaktoren aufzuspüren und Verbesserungen durch geeignete Maßnahmen zu erkennen und umzusetzen. Einzelne Beschäftigte sollen nicht geprüft werden.

5 Themenbereiche sind Gegenstand der Untersuchung:

  • Arbeitsaufgaben und -inhalte (z.B. Qualifikation, Verantwortung, emotionale Inanspruchnahme, Handlungsspielräume)
  • Arbeitsformen (z.B. befristete Arbeitsverhältnisse, Telearbeit)
  • Arbeitsorganisation (z.B. Arbeitsablauf und Arbeitszeit, Kommunikation und Kooperation)
  • Arbeitsumgebung (z.B. Ergonomie am Arbeitsplatz, Lärm)
  • Soziale Beziehungen (z.B. mit Vorgesetzten, mit Kolleginnen und Kollegen)

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In 7 Schritten zur Gefährdungsbeurteilung

Es ist wichtig, dass Sie möglichst frühzeitig alle Beteiligten informieren und mit einbeziehen. Dies umfasst Beschäftigte, Betriebsärzte, Betriebsräte, Führungskräfte und Personaler.

  1. Festlegen von Tätigkeiten und Bereichen, für die die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden soll
  2. Ermittlung der psychischen Belastung der Arbeit
  3. Beurteilung der psychischen Belastung
  4. Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen
  5. Kontrolle der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen
  6. Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung bei geänderten Gegebenheiten
  7. fortwährende Dokumentation

Zu psychischen Belastungen existieren keine Grenzwerte bzw. Vorgaben. Aber wie erkennen Unternehmen, ob und welche Maßnahmen erforderlich sind? Ab wann ist eine identifizierte Belastung schädlich und erfordert Maßnahmen?

Im Grunde entscheiden dies die Unternehmen selbst. Möglich wäre:

  • Belastungen im Workshop gemeinsam und in Kleingruppen bewerten und Prioritäten dahingehend setzen, welche Belastung zuerst angegangen wird
  • Empirische Vergleichswerte mit betriebsinternen oder externen Daten nutzen
  • Schwellenwerte, wie z.B. ein Ampelprinzip, verwenden. (Beispiel: Die Ampel steht auf grün, wenn nur wenige Mitarbeiter eine bestimmte Fehlbelastung angegeben haben. Wenn ein bis zwei Drittel der Mitarbeiter eine bestimmte Fehlbelastung angegeben haben, steht die Ampel auf gelb. Hier sollte man überprüfen, welcher Arbeitsbereich insbesondere betroffen ist und ggf. weiter nachhaken. Wenn über zwei Drittel eine Fehlbelastung angegeben haben, steht die Ampel auf rot und es müssen Maßnahmen abgeleitet werden.)

Wer kann die Psychische Gefährdungsbeurteilung durchführen?

Arbeitgeber dürfen die Psychische Gefährdungsbeurteilung (PGB) selbst oder durch Fachpersonal nach geeigneter Unterweisung durchführen.

Allerdings müssen die Entscheidungen bzw. Maßnahmen zur Umsetzung einer Verbesserung dokumentiert und nachvollziehbar sein. Dies geht beispielsweise mit Hilfe von Checklisten oder Fragebögen und auf Grundlage von Mitarbeiterbefragungen, Beobachtung-Analysen oder Workshops.

Beratung und Unterstützung zur PGB erhalten Unternehmen bei ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger (z.B. Berufsgenossenschaft) und der zuständigen Arbeitsschutzbehörde. Auch Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Betriebsärzte oder erfahrene Auditoren bieten Informationen und Beratung bzw. Begleitung an.

Verfahrensweisen in der Praxis

Stellen Sie sich vor, in einem Unternehmen wurden mit Hilfe von Interviews und Workshops drei Hauptkritikpunkte herausgearbeitet, die fast alle Mitarbeiter betreffen und sofortige Maßnahmen erfordern:

  • Ständige Unterbrechungen führen zu Konzentrationsschwächen und zu Leistungsabfall
  • Private Termine sind kaum wahrzunehmen und belasten das Familienleben und somit die Gesundheit der Beschäftigten
  • Die Arbeit am Schreibtisch ist durch häufige Dienstreisen mit langen Reisezeiten kaum zu bewältigen

Mögliche Maßnahmen wären:

Einrichtung eines “Stillen Büros”:

Um beim konzentrierten Arbeiten nicht durch Unterbrechungen belastet zu werden, könnten Sie ein „Stilles Büro“ einrichten, das für die erforderliche Zeit genutzt werden kann.  Keiner stört, kein Telefon, keine Unterbrechung.

Flexible Arbeitszeiten:

Arztbesuche, Einkäufe, Termine mit den Kindern lassen sich bei flexiblen Arbeitszeiten besser organisieren. Voraussetzung ist eine festgelegte Wochenarbeitszeit, die man – nach Absprache mit den Kollegen – offen gestaltet.

Videokonferenzen statt Dienstreisen:

Um Dienstreisen zu reduzieren, können Sie die Möglichkeit für Videokonferenzen schaffen. Das vermindert nicht nur die psychischen Belastungen, sondern schont auch das Budget und die Umwelt.

Folgen bei Nichtdurchführung

Kann der Arbeitgeber keine durchgeführte Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung am Arbeitsplatz nachweisen, können im Falle einer psychischen Erkrankung eines Mitarbeiters, Bußgelder und Schadensersatzforderungen für entstandene Therapiekosten anfallen. Denn die Durchführung der Psychischen Gefährdungsbeurteilung ist im Arbeitsschutzgesetz verankert.

Zudem sind Sozialversicherungsträger berechtigt, Regress für Schäden zu erheben, die durch grob fahrlässiges Handeln zustande gekommen sind ­– also, wenn der Arbeitgeber auf die Verpflichtung hingewiesen wurde, dem aber nicht nachgekommen ist (vgl. §110 SGB VII).

Fazit

In einer Psychischen Gefährdungsbeurteilung werden Arbeitsbedingungen analysiert und bewertet. Sie kann vom Arbeitgeber mittels Workshops oder Interviews durchgeführt werden, oder Experten stehen mit Rat und Tat zur Seite. Wichtig dabei sind eine auf das Unternehmen angepasste Struktur sowie Kontinuität und Dokumentation. Wenn Unternehmen eine fortlaufende Psychische Gefährdungsbeurteilung durchführen, sollte das Ergebnis gesündere, zufriedenere und somit auch produktivere Arbeitskräfte sein.

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Esther Gensrich

Autor: Esther Gensrich

Esther Gensrich ist seit 2003 für die MVV Energie Gruppe tätig. Dort verantwortet sie aktuell im Business Development das strategische Marketing für Geschäftskunden. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von zukunftsorientierten und digitalen Marketingkonzepten.

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