Der Koalitionsvertrag 2021 und die Energiewende: Das ändert sich

09.12.21 10:06 von Dr. Markus Lauer

Koalitionsvertrag_2021SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP haben sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm geeinigt, das für Fortschritt und Klimaschutz stehen soll. Die drei Parteien wollen die Energiewende wirtschaftsverträglich gestalten und setzen auf eine Verflechtung von ökologischer Verantwortung und ökonomischer Entwicklung. Nur: Was sind die genauen Pläne – und was bedeuten sie für Unternehmen? Lesen Sie in diesem Artikel, was sich ändern soll und welche energiepolitischen Rahmenbedingungen aus dem Koalitionsvertrag für Sie als Unternehmen oder Immobilienbesitzer relevant sein werden.

Klimaschutz ist Kern des Koalitionsvertrags und Querschnittsaufgabe

Die neue Regierung hebt in ihrem Koalitionsvertrag hervor, dass die Erreichung der Klimaschutzziele von Paris oberste Priorität hat. Denn laut Vertrag sichert Klimaschutz Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand.

Die soziale Marktwirtschaft soll durch eine sozial-ökologische Marktwirtschaft ersetzt werden: Die drei Parteien verstehen den Koalitionsvertrag als Regelwerk, um den Weg frei zu machen für Innovationen und Maßnahmen – alles mit dem Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Dabei kommt es laut Vertrag auf zwei wesentliche Punkte an:

  • ein höheres Tempo bei der Energiewende
    → Entfernen von Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und neue ambitioniertere Ziele
  • die Beendigung des fossilen Zeitalters
    → Vorziehen des Kohleausstiegs, idealerweise auf 2030, sowie das Ersetzen der Verbrennungsmotoren, die mit fossilen Kraftstoffen laufen

Ein erster Schritt: Die Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes

Noch im Jahr 2022 soll das Klimaschutzgesetz weiterentwickelt werden. Neu ist: Alle Ressorts müssen ihre Gesetzesentwürfe auf ihre Klimawirkung und die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen hin prüfen und entsprechend anpassen (sogenannter Klimacheck).

Ziel ist es, die Klimaneutralität technologieoffen, kosteneffizient und verlässlich bis spätestens 2045 zu erreichen.

Die Regierungsparteien planen darüber hinaus

  • das Festhalten am deutschen Atomausstieg,
  • ein Klimaschutz-Sofortprogramm bis Ende 2022
  • und die Unterstützung des EU-Programms Fit-for-55.

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Gut fürs Klima: Ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen

Als größte Export- und Industriewirtschaft Europas steht Deutschland mit der Dekarbonisierung vor einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Denn die Energiewende wird auch in jeden Aspekt des Wirtschaftslebens eingreifen.

Die Regierungsparteien gehen von einem höheren Bruttostrombedarf aus als bisher angedacht: von 680 bis 750 TWh im Jahr 2030. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen 80 Prozent davon aus erneuerbaren Energien stammen. Außerdem soll bis 2030 die benötigte Wärme in Deutschland zu 50 Prozent regenerativ erzeugt werden.

Für diese ehrgeizigen Ziele muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch beschleunigt werden. So soll zum einen die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich verkürzt werden. Zum anderen wird die Einführung weiterer Instrumente angestrebt:

  • Dynamische Anpassung der jährlichen Ausschreibungsmengen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und Nutzung aller Dachflächen für Solarenergie
  • Erarbeitung einer Biomasse-Strategie
  • Beschleunigung des Netzausbaus
  • Abbau von (bürokratischen) Hemmnissen

Die Ausgestaltung der erneuerbaren Energien, der Energiepreise und der Energiesysteme

Konkret beschreibt der neue Koalitionsvertrag folgende Veränderungen in der Energiepolitik:

Gerechte, wettbewerbsfähige Energiepreise sowie ein Ende von Förderungen

Zum 1. Januar 2023 wird die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis beendet und durch den Energie- und Klimafonds (EKF) übernommen. Damit sinkt die EEG-Umlage auf 0 ct/kWh für Stromkunden. Geplant ist darüber hinaus, die Förderung der erneuerbaren Energien perspektivisch mit der Vollendung des Kohleausstiegs auslaufen zu lassen. Bis dahin wird das EEG ein wichtiger Treiber für den Ausbau erneuerbarer Energien sein. Auch sollen Energiesteuern und Kompensationsregelungen überprüft und angepasst sowie der EU-Emissionshandel (ETS) und das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) im Sinne des EU-Programms Fit-for-55 überarbeitet werden.

Der CO2-Preis als wichtiges Instrument

Auf nationaler Ebene hält die neue Regierung am bisherigen BEHG-Preispfad für die Sektoren außerhalb des EU-Emissionshandels fest, die über das BEHG erfasst werden. Zudem wird sie einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Marktphase nach 2026 vorlegen und einen sozialen Kompensationsmechanismus („Klimageld“) entwickeln. Auf europäischer Ebene unterstützt die Koalition einen Mindestpreis im EU-Emissionshandel sowie die Schaffung eines zweiten Emissionshandels für die Bereiche Wärme und Mobilität (ETS 2).

Konzentration auf Netze und Speicher

Die neue Regierung plant, bis Mitte 2023 eine Roadmap zur Systemstabilität vorzulegen, die die Digitalisierung bzw. Modernisierung der Verteilnetze sowie die verstärkte Nutzung intelligenter Messsysteme vorsieht. Zusätzlich sollen Speicher und Speichersysteme als eine eigenständige Säule des Energiesystems rechtlich definiert werden.

Klimaneutrales Stromsystem: Neues Design des Strommarktes

2022 werden laut Koalitionsvertrag Vorschläge zu Papier gebracht, die ein neues Strommarktdesign beschreiben. Dies geschieht im Zusammenhang mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, der Dezentralisierung und der Sektorenkopplung. Außerdem soll der europäische Energiebinnenmarkt weiter integriert werden. Das neue Design soll außerdem eine fairere Verteilung der Kosten für die Integration erneuerbarer Energien ermöglichen. Damit geht auch eine Reform der Netzentgelte einher.

Ausbau der Windenergie samt Netzintegration

Für die Windenergie an Land (Onshore) sollen zwei Prozent der Landesfläche als Flächenziel ausgewiesen werden. Zudem möchte die neue Regierung den Prozess, alte Windenergieanlagen durch neue, effizientere zu ersetzen, vereinfachen (sog. Repowering). Auch soll die Windenergie auf See (Offshore) gesteigert werden, und zwar auf 30 GW im Jahr 2030, 40 GW im Jahr 2035 und 70 GW im Jahr 2045 – und dabei soll die landseitige Netzintegration im Blick gehalten werden.

Wasserstoff wird Erdgas ersetzen

Die bereits bestehende Wasserstoffstrategie wird fortgeschrieben; Erdgas fungiert als Übergangslösung: Um den steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen decken zu können, müssen Kraftwerke gebaut werden, die von Erdgas zu einem späteren Zeitpunkt auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können. Ziel ist es, eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt im Jahr 2030 zu erreichen und grüne Gase in größerem Umfang national zu erzeugen.

Nutzung aller geeigneten Dachflächen für die Solarenergie

Bei gewerblichen Neubauten soll eine Nutzung der Dachflächen für Photovoltaik (PV) verpflichtend – bei privaten Neubauten die Regel – werden. Das Ziel für den Ausbau der PV-Anlagen liegt bei 200 GW bis 2030. Es werden laut Koalitionsvertrag Zertifizierungen beschleunigt, Vergütungssätze angepasst und die Ausschreibungspflicht für große Dachanlagen inklusive Deckelung geprüft.

Mehr als Photovoltaik: Klimaschutz im Gebäudebereich

Im Bereich Immobilien sollen insbesondere Maßnahmen zur Optimierung der Gebäudehülle, zur Erzeugung und Versorgung mit erneuerbarer Energie am Gebäude und Quartierslösungen unterstützt werden. Auch der Gebäudeenergieausweis soll optimiert werden.

Zusätzlich ist geplant, zum 1. Juni 2022 ein Stufenmodell nach Gebäudeenergieklassen im BEHG einzuführen. Dieses Modell wird die Aufteilung des nationalen CO2-Preises zwischen Mieter und Vermieter regeln.

Erhöhte Standards für Bestandsgebäude und Neubauten

Nach dem Auslaufen der Neubauförderung für die KfW-Effizienzhaus-Stufe 55 (EH 55) soll laut Koalitionsvertrag 2022 ein neues Förderprogramm für den Wohnungsbau eingeführt werden. Dieses zielt auf die Senkung von Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) pro m² Wohnfläche.

Schließlich soll auch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) konkret geändert werden:

  • Zum 1. Januar 2024 werden für Ausbauten, Erweiterungen und Umbauten von Bestandsgebäuden im GEG die Standards angehoben: die auszutauschenden Teile sollen dann dem EH 70 entsprechen.
  • Ab dem 1. Januar 2025 muss jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden.
  • Zum 1. Januar 2025 werden die Neubau-Standards an das KfW-EH 40 angeglichen.

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Die Ampelkoalition will die Umgestaltung der Automobilindustrie verstärkt unterstützen: Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität sowie Innovationsstandort für autonomes Fahren werden.

Im Koalitionsvertrag finden sich u. a. folgende Ziele:

  • Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw in Deutschland angemeldet sein.
  • Ab 2035 werden nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen (nach den Vorschlägen der Europäischen Kommission).
  • Dies erfordert einen massiven Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur: 1 Mio. öffentlich und diskriminierungsfrei zugängliche Ladepunkte bis 2030 sind geplant.
  • Ermöglichen von bidirektionalem Laden, Schnelllade-Hubs, transparenten Strompreisen und einem öffentlich einsehbaren Belegungsstatus.

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Fazit

Führt der neue Koalitionsvertrag zu einem CO2-neutralen Deutschland? Sind die Neuerungen Belastung oder eine Chance für deutsche Unternehmen? Fest steht: Wirtschaft und Immobilienbesitzer müssen bei ihren Investitionen auf dem Weg zur Klimaneutralität bestmöglich unterstützt werden. Der Koalitionsvertrag skizziert noch nicht alle Maßnahmen, die für die ambitionierten Ziele notwendig sind. Die künftige Regierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wird daher 2022 ein Klimaschutzsofortprogramm auflegen, mit dem auch der zukünftige Maßnahmenkatalog klarer wird.

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Themen: Steuern und Abgaben, Nachhaltigkeit

Dr. Markus Lauer

Autor: Dr. Markus Lauer

Dr. Markus Lauer hat an der Universität Koblenz-Landau Umweltwissenschaften studiert und war danach als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig tätig. Dort forschte er überwiegend zur flexiblen Stromerzeugung aus Biogasanlagen. Zu diesem Thema promovierte er an der Universität Leipzig im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen. Seit 2019 arbeitet er als Referent für Energiewirtschaft und Energiepolitik bei der MVV Energie AG.

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